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MATTHIAS WALKNER: DER SPÄTSTARTER

Er hat noch nie viel Aufsehen um seine Person gemacht, sondern ist bis heute der normale „Hiasi“, wie ihn seine Freunde nennen, geblieben. Dabei besitzt Matthias Walkner schon zwei Weltmeistertitel in zwei verschiedenen Sportarten, weshalb es durchaus verständlich wäre, wenn er sich etwas wichtiger nehmen würde. Tut er aber nicht! Und nicht nur das macht den Rallye-Piloten so sympathisch.

 

Der 30-jährige KTM-Rallye-Werksfahrer wohnt zwanzig Minuten von Salzburg entfernt, genauer gesagt in seinem Geburtsort Kuchl. In dieser Ecke ist er auch groß geworden. Doch Motorsport spielte im Leben des jungen „Hiasi“, dem aus dem zweiten Teil seines Namens abgeleiteten, österreichischen Spitznamen für Matthias, keine Rolle. Fußballspielen und Skifahren waren zunächst seine Steckenpferde. Sportlich ist sie, die Walkner-Familie, immerhin besitzen sie schon vier Weltmeister-Titel. Denn neben der MX3- und Rallye-Weltmeisterschaft von Matthias ist auch seine Schwester Eva sehr erfolgreich. Nach einer alpinen Ski-Karriere wechselte sie ins Ski-Freeride-Lager, wo sie 2015 und 2016 die WM gewinnen konnte. Wer weiß, hätte Matthias nicht das Motorrad für sich entdeckt, vielleicht wäre er auch im Skisport sehr weit gekommen. Doch es kam anders!

 

Du bist erst recht spät zum Motorradfahren gekommen?

Genau, ich habe mein erstes Motorrad erst zum 14. Geburtstag bekommen. Am Anfang haben wir das noch vor der Mama geheim gehalten. Mein Vater sagte, dass es nur geliehen ist. Dann ist es aber immer mehr geworden. In meiner Kindheit habe ich eher Fußball gespielt und war extrem viel Skifahren. Das war aber keine Sportarten, bei denen ich gesagt hätte, dass ich das die nächsten zehn, fünfzehn Jahre als Profi machen wollte. So bin ich im Motocross gelandet.

 

Was hat dich am Motorradfahren gereizt, sodass du es mal probieren wolltest?

Mit zehn Jahren habe ich es bei einem KTM-Schnuppertag in Schwanenstadt probieren können und hatte viel Spaß dran. Dann hat es aber noch drei, vier Jahre gedauert, bis ich ein eigenes Motorrad hatte. Das faszinierende, speziell am Offroadsport, ist die Abwechslung. Du hast griffige Erde, steinigen Untergrund, Sand, kleine und große Sprünge, es geht mal bergauf, mal bergab und so weiter. Es gibt wohl kaum eine andere Sportart, die so abwechslungsreich wie der Offroadmotorsport ist. Darum bin ich da hängengeblieben.

 

So wirklich populär außerhalb der Offroadmotorrad-Szene ist Matthias erst durch seinen Wechsel ins Rallyelager und seine Dakar-Teilnahmen geworden. Das liegt vielleicht daran, dass er kein großes Aufsehen um seine Position macht. „Let the riding do the talking“, scheint sein Motto zu sein.

 

Ich musste feststellen, dass viele gar nicht so viel über dich wissen. Freunde von mir haben dich – positiv gemeint – als den „ungehyptesten Rallyefahrer“ beschrieben.

In Deutschland ist es als Österreicher etwas schwieriger, gesehen zu werden, aber in Österreich ist die mediale Anerkennung da, vor allem seit der Rallye Dakar. Und in erster Linie fahre ich ja nicht, damit ich als Promi wahrgenommen werde, sondern dass ich den ganze Aufwand und den Einsatz, den ich in den Sport einbringe, wieder in Form von Erfolg zurückbekomme. Es ist zwar cool und schön, wenn der Aufwand auch mediale Erfolg mit sich bringt, aber das ist es nicht, wofür ich trainiere.

 

Passiert es dir oft, dass die Leute dich nur als Rallyefahrer wahrnehmen und gar nicht wissen, dass du auch im Motocross erfolgreich warst?

In Österreich wissen viele, dass meine Wurzeln im Motocross liegen. Aber die Bekanntheit ist durchs Rallyefahren enorm angestiegen. Die Rallye Dakar kennt halt jeder. Trotzdem bin ich für viele Leute im Motorsport schon noch der Motocrosser, der aufs Rallyefahren umgestiegen ist.

 

Du bist sowohl Motocross- als auch Rallyeweltmeister. Welcher Titel ist dir davon wichtiger?

Boah, schwierig … Mir gefällt, dass ich Weltmeister in zwei verschiedenen Sportarten bin. Mein Herz schlägt vermutlich ein bisschen mehr für den Motocross-Titel, weil ich dafür viel Aufwand, Arbeit, Zeit, Geld und Strapazen investiert habe – und als Einzelkämpfer, der man speziell im deutschsprachigen Raum im Motocross nun mal ist, ist es immer schwer, das Budget zusammenzubekommen. Dass dann 2012 alles zusammen gepasst hat, ich keine Verletzung und Stürze hatte, bei den Starts immer dabei gewesen bin, das ist halt schon extrem geil und hat mir persönlich viel zurückgegeben.

Doch so sehr sein Herz bis heute am Motocross-Sport hängt, als Profi muss man Geld verdienen, um vom Sport leben zu können. Durch die Umstrukturierungen in der Motocross-Weltmeisterschaft schaute Matthias einer ungewissen Zukunft ins Auge. Zur Saison 2014 erfolgte dann der Wechsel ins Rallye-Lager. Es gab viel zu lernen und beinahe wäre die Karriere nach einem Tag Testen schon wieder vorbei gewesen.

 

Wie kam dann der Wechsel zum Rallyefahren, war das so etwas wie eine Notlösung?

Anfangs war es schon eine Neuorientierung, wenn auch keine Notlösung. Es gab Pläne, die MX3-Klasse mit den MXGP zusammenzulegen. Der Hauptgrund für die Fahrer der MX3-Klasse, dort zu starten, war jedoch, dass es schwer war, ein Budget für die MXGP zusammenzubekommen. Vom fahrerischen Level wären die ersten fünf bis zehn MX3-Fahrer durchaus in der MXGP-Klasse richtig aufgehoben. Mit sechs oder sieben Übersee-Rennen war die WM für mich nicht mehr finanzierbar. Ich war damals 27 Jahre alt und war natürlich noch voll motiviert, international zu fahren. Zumal mir mein Aufwand, den ich für den Sport betrieben habe, zu viel war, um „nur“ die österreichische Meisterschaft zu fahren. Ich habe dann Heinz Kinigadner gefragt, was er in meiner Situation machen würde und er empfahl mir, es mit dem Rallyefahren zu versuchen, so wie er es auch getan hat. Ich bin froh, dass es letztendlich dann auch genau so gekommen ist.

 

Wie war für dich der Umstieg vom MX auf Rallye, so ganz ohne Vorerfahrungen?

Das war anfangs schon schlimm! Zunächst bin ich mit Kini nach Tunesien gefahren, wo ich mit dem Roadbook üben, das Navigieren testen und Geschwindigkeiten ausprobieren wollte. Da ging es erst einmal 30 Kilometer nur geradeaus, mit insgesamt vielleicht drei Kurven. Da habe ich mir gedacht: „Wenn das das typische Rallyefahren ist, dann ist es genau das, was ich auf keinen Fall machen möchte.“ Letti war damals auch dabei. Als wir dann mit 130 oder 140 km/h eine Straße entlang gefahren, auf die es ein paar Sanddünen reingeweht hatte und wo wir dann beinahe abgehoben sind, sind wir nach dreißig Kilometern beide stehengeblieben, haben uns angeschaut und gesagt: „Okay, das ist es sicher nicht!“ Aber zum Glück war das nicht das typische Rallyefahren. Ich bin dann die Hellas Rallye gefahren und wenn man sich dort umschaut, sieht es so ähnlich aus wie hier in den Bergen um Salzburg. Die Strecke geht vom Meer bis hoch in den Schnee und man darf dabei ganz offiziell Waldwege und Singletrails abglühen. Da habe ich mir dann gesagt: „Wenn Rallyefahren in diese Richtung geht, dann ist das schon sehr reizvoll.“ Und was man im Speziellen auf der Rallye Dakar so alles erlebt, ist schon der Wahnsinn. So etwas erlebe ich in zwei Motocross-Saisons nicht.

 

Du bist in der Natur groß geworden. Ist es für dich ein zusätzlicher Reiz beim Rallyefahren, die Landschaft und Natur zu erleben. MX-Strecken sehen ja doch fast alle gleich aus und bieten diesbezüglich wenig …

In der Natur zu fahren, ist fürs Wohlbefinden schon schön. Wenn du in Lommel deine Runden um die Sandhaufen drehst, mitsamt dem typischen Wetter, oder in Südamerika in der wilden Landschaft mit Wüste oder in Chile auch mal mit Bergen bist, dann ist das schon ein Unterschied. Die Landschaft dort ist schon gewaltig und das sind Erinnerungen, die ich sonst nie gesammelt hätte. Da wäre ich sonst nie hingekommen. Und bei der Dakar sind über zwei Wochen vier Millionen Live-Zuschauer vor Ort, das ist dann das nächste. Es macht schon einen Unterschied, ob einem fünf Leute zuschauen oder 500 000, die dich auch noch begeistert anfeuern. Das ist zwar nicht der Hauptgrund, weshalb ich das mache, aber das nimmt man dann schon gerne auch mit, wenn es so ist.

 

Was sind für dich die größten Herausforderungen beim Rallyefahren?

Die hohe Geschwindigkeit: Zum Teil haben die Etappen einen Schnitt von 130 km/h. Auch die langen Tage. Ein Standardtag bei der Dakar beginnt um vier Uhr morgens, das heißt um drei Uhr aufstehen. Und dann geht es bis vier Uhr nachmittags. Dabei muss man immer einen klaren Kopf zu bewahren, um stets richtig zu navigieren und vor allem um keine Notizen im Roadbook zu übersehen. Darin sind ja alle Gefahrenstellen verzeichnet. Und wenn das Roadbook mal sagt, zehn Kilometer geradeaus ohne Gefahrenstelle, dann heißt es: jetzt voll auf Anschlag fahren. Wenn du da über eine Kuppe mal etwas vom Gas gehst oder eine Stelle nicht so richtig einschätzen kannst, dann verlierst du sofort Zeit. Deshalb muss man dem Roadbook voll und ganz vertrauen. Das ist am Anfang ganz schön arg: Einer Person, die man nicht kennt und die aber das Roadbook geschrieben hat, zu vertrauen und ihr die eigene Gesundheit anzuvertrauen. Inzwischen habe ich mich da aber ganz gut dran gewöhnt, auch wenn ich die eine oder andere Note schon übersehen habe. Sobald dann der WOW-Moment kommt, weiß man ganz schnell wieder, dass man aufpassen muss.

 

Wie sehr ist für einen Rallyeerfolg die fahrtechnische Komponente wichtig und wie viel Bedeutung kommt der Kopf-Komponente zu, also dem Navigieren, dem Vorbereiten des Roadbooks und so?

Man muss in beidem ein gutes Niveau haben. Aber ich würde schon sagen, dass zu 65 bis 70 Prozent die Navigation entscheidend ist. Fahrtechnisch ist es größtenteils nicht so anspruchsvoll und egal, ob man eine Schotterpiste oder Sanddünen fährt. Antoine Méo, der Motocross-Werksfahrer war und fünffacher Enduro-Weltmeister ist, ist sicher fahrtechnisch ein besserer Motorradfahrer als ich. Aber wenn wir eine Schotterstraße fahren und nebenher die ganzen Kreuzungen, Himmelsrichtungen und so verarbeiten müssen – Stichwort Nachkalibrieren –, dann tut er sich schon schwer, dass er mir hinterher kommt. Es ist einfach ein anders Fahren. Und dann hängt es auch davon ab, wie viel Risikobereitschaft man bereit ist, einzugehen. Oft gibt es viele Dünenhügel und -berge, bei denen man nicht weiß, was dahinter kommt. Da kannst du ein Sandgott wie Jeffrey Herlings sein, aber wenn der nicht weiß, was ihn dahinter erwartet, bremst er vielleicht mehr ab als ich. Das Ganze hat also extrem viel damit zu tun, Routen lesen zu können, und damit, wie viel Risiko man bereit ist einzugehen.

 

Musstest du das auch erst lernen oder hast du vielleicht ein natürliches Talent, zum Beispiel aus den Bergen, dafür, dass du ein Gelände gut lesen kannst?

Wenn man wie ich im ersten Jahr gleich Weltmeister geworden ist – und zwar nicht, weil niemand da war: das Honda- und Husqvarna-Werksteam war am Start, Marc Coma hat zwar in dem Jahr aufgehört, aber ich war der einzige Fahrer, der ihn in diesem Jahr bei der Sardinien-Rallye geschlagen hat –, dann darf man schon sagen, dass man ein bisschen Geschick dafür hat. Aber es gibt auch bessere. Das Problem ist, wenn es einen nie schmeißt und man sich nie weh tut, dann fängt man wirklich ein bisschen an zu glauben, man sei unsterblich. Und dann geht das schnell so aus wie bei mir 2016, als ich mir den Oberschenkel gebrochen habe. Ich habe dadurch jetzt sicher etwas weniger Risikobereitschaft, versuche das aber durch Erfahrung und Navigation wieder wettzumachen.

 

Gehört das einfach auch dazu, dass es einen schmeißt?

Nicht unbedingt, aber man kennt das ja auch vom Motocross- und Endurofahren. Man tastet sich an sein Limit heran und fragt sich: Wie schnell geht das noch oder was für einen steile Steigung kann ich noch hinauffahren, wie hoch kann die Steinkante sein, die ich noch hochfahren kann? Man versucht es dann so lange, bis es nicht mehr klappt und man eben stürzt. Beim Rallyefahren ist ein Sturz bei einem Schnitt von 130 km/h meist blöd. Das tut mehr weh, als wenn du in einer Kurve mit 20 km/h umkippst.

 

Was geht einem so durch den Kopf, wenn man mit 180 km/h auf Anschlag durch die Steinwüste brennt?

Wenn man so schnell fährt, dann eh nur, weil man in einem Geschwindigkeitsrausch drin ist. Man gewöhnt sich daran und das Motorrad ist auch so ausgerichtet, dass es bei solchem Tempo stabil liegt. Allerdings übersieht man schon oft Sachen, zum Beispiel ein kleines Bachbett oder Geröllsteine. Also ich habe schon jeden Tag so zwei, drei Momente, in denen ich mir sage: „Boah, grade noch mal gut gegangen.“ Aber es gehört halt dazu. Und jetzt steigen so viele Junge mit in den Sport ein ... Ich will jetzt nicht sagen, die jungen Wahnsinnigen, aber da pushen wir uns schon alle ganz gut. Ich hoffe, dass ich die ganze Geschichte einigermaßen unter Kontrolle habe.

Matthias gehört zu einer jungen Generation Rallye-Piloten, die mit modernen Motocross-Fahrtechniken wie Whips, Scrubs und einer angreifenden Fahrweise groß geworden sind. Verfolgt man seine Social-Media-Accounts, ist man immer wieder beeindruckt, mit welch unglaublichem Speed er auf dem mächtigen Rallye-Schiff um seine lokale MX-Strecke, die X-Bowl-Arena, pflügt.

 

Da hat sich eh viel getan, man sieht jetzt plötzlich bei den Fotoshootings Jungs, die mit dem Rallyebike scrubben. Und du heizt ja auch mit Affentempo durch die X-Bowl-Arena. Ist da ein neues Level an Rallye-Fahrtechnik erreicht?

Der Sport ist in den letzten Jahren sicher extrem gewachsen. Früher haben Despres und Coma wegen ihrer Navigationskünste immer gewonnen. Aber inzwischen steckt viel Geld dahinter, es gibt viele Werksteams und es ist generell ein großes Interesse vorhanden. Der Sport wird immer professioneller und auch die Vorbereitung. So wie ich mich auf die Dakar vorbereite, so habe ich das im Motocross nie getan! Es geht also wirklich voran und da muss man auch die Motorräder entsprechend anpassen. Beim Rallyefahren geht es nicht mehr nur geradeaus, sondern speziell in Südamerika ist es sehr technisch geworden. Und so geht es auch bei den Maschinen immer mehr in Richtung eines schwereren Motocross-Motorrads mit großem Tank.

 

Was sind die größten Unterschiede zwischen einer MX oder Enduro 450er und deiner Rallye 450er?

Ein großes Tankvolumen, 32 Liter, dann der große Vorbau mit der ganzen Navigation drauf. Zudem ist alles ein bisschen massiver und stärker ausgelegt. So ein Rallyemotorrad hat abfahrbereit schon so um die 180 Kilogramm, ist also fast doppelt so schwer wie ein Motocrossmotorrad. Man versucht den Schwerpunkt so weit wie möglich nach unten und zum Zentrum zu verlagern, damit es dann doch wieder ganz gut fahrbar ist.

 

Seitdem du Rallye fährst, wirkst du sehr glücklich und zufrieden und auch sehr entspannt. Täuscht der Eindruck oder hast du mit dem Rallyefahren deine Berufung gefunden?

Ich war beim Motocross auch nicht gerade der Ärmste und habe auch von KTMs Test- und Entwicklungsabteilung immer gute Unterstützung bekommen, aber es war halt immer extrem zäh und mühsam, das Budget zusammenzubringen und einen Mechaniker zu finden, der irgendwie nebenberuflich für einen geschraubt hat. Ich war mein eigener Chef, musste also alles selbst organisieren und mich selbst drum kümmern. In den fünf Jahren, in denen ich international gefahren bin, war ich wirklich komplett am Limit, teilweise auch drüber. Trotzdem habe ich immer versucht, dann noch voll zu trainieren. Beim Rallyefahren habe ich seit gut zwei Jahren meinen offiziellen Werksvertrag und den habe ich jetzt auch bis Ende 2020 verlängert. Und was die technische Seite angeht, muss ich mich um nichts mehr kümmern. Natürlich sage ich, wenn am Fahrwerk etwas nicht passt oder am Motor etwas geändert haben möchte. Aber dann sind jetzt Leute da, die das für mich machen. Das erleichtert das Ganze enorm. Oder wenn ich jetzt am Samstag nach Marokko fliege, muss ich mich nicht mehr um solche Dinge kümmern wie: Wie komme ich zum Flughafen? Wann fliege ich ab? Wie komme ich dann vom Flughafen zum Hotel? In welchem Hotel schlafen wir? Wie kommt mein Motorrad dorthin? Das ist ein nicht zu unterschätzender logistischer Aufwand, den man nebenbei betreibt. Jetzt ist es so viel einfacher. Und seitdem ich Rallye fahre, verdiene ich auch mal Geld und muss nicht alles wieder in den Sport stecken, sodass ich davon leben kann. Jetzt bleibt auch mal etwas hängen. Das ist jetzt cool, aber ich weine auch nicht wegen der alten Zeiten, denn hätte ich diese harte Schule im Motocross nicht gehabt, dann wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin. Deshalb passt das schon.

 

Wie trainiert man das Rallyefahren am besten?

Wichtig ist natürlich das Navigieren und zum Glück gibt es hier ein paar motivierte Waldbesitzer und Bauern, auf deren Grundstücke ich mir ab und zu ein kleines Roadbook schreiben und dann trainieren darf. Wichtig ist auch die geistige Flexibilität. Man sollte beim Training zum Beispiel mal versuchen, sich ein paar Zahlenkombinationen zu merken, und so nebenbei ein bisschen Gehirntraining absolvieren. Und das Motorrad-ABC erhalte ich mir auf der Motocrossstrecke, das aber inzwischen zu 90 Prozent auf dem Rallyemotorrad, weil es für mich das Wichtigste ist, dass ich die Grenzen des Rallyemotorrads gut kennenlerne. Das ist wichtiger, als auf dem MX-Bike eine schnelle Rundenzeit zu erzielen.

 

Zählt bei der Rallye eigentlich nur die Dakar und der Rest ist Vorgeplänkel?

Medial wird das zwar immer etwas in diese Richtung geschoben, aber KTM, Husqvarna und Honda würden die Rallye-WM nicht bestreiten, wenn sie sagen würden, dass es ihnen egal sei. Mein Gehalt beziehe ich aber sicher zu 70 Prozent aus der Dakar, die restlichen 30 Prozent kommen durch einen WM-Titel, wenn man das mal prozentual grob darstellen möchte. Das ist etwa so, wie wenn ich sage, ich bin Motocross-Weltmeister und Cairoli ist auch „nur“ Motocross-Weltmeister. Wir in der Szene wissen alle, welche Bedeutung ein MX3-WM-Titel besitzt und welche eine MX1-Weltmeisterschaft. Dennoch muss man so einen MX3-Titel erst mal schaffen. So ist das im Rallyesport auch. Die Szene weiß genau, dass man nicht mal eben einfach so Rallye-Weltmeister wird. Man braucht einfach das Training, die Vorbereitung, den Test für die Dakar. Und die Dakar ist dann das große Highlight. Die Tour de France kennt jeder, aber daneben gibt es sicher noch zehn andere Radrennen mit den selben Leuten auf ähnlichem Niveau. Und kennt jemand den Sieger vom Giro d’Italia?

Was macht die Dakar so schwierig?

Ich kenne keine Rallye, die ähnlich hart ist. Vor allem der Schlafentzug, 9 000 Kilometer in zwei Wochen, die extreme Höhe – in Bolivien waren wir sieben Tage lang auf einer Durchschnittshöhe von 3 100 Metern, der höchste Punkt lag auf 5 000 Meter. Über einen längeren Zeitraum zehrt das schon wirklich an der Substanz. Am längsten Tag bin ich um vier Uhr morgens weggefahren und war nach 1 150 Kilometern um neun Uhr abends im Ziel. Das war schon ziemlich zäh, aber auch extrem nachhaltig und man nimmt relativ viel daraus mit.

 

Was braucht man, um bei der Dakar das Ziel zu sehen und wie ist man dann auch noch erfolgreich dabei?

Einen starken Kopf und eine gute, professionelle Vorbereitung. Bei meiner ersten Dakar war es so, dass ich mir zum Teil gesagt habe: „Ich will morgen nicht“, oder: „Wie schaffe ich das morgen?“ Dieses Jahr war ich ganz anders vorbereitet. Ich kann mich in den ersten Jahren immer vor allem an den Tag erinnern, an dem ich ausgeschieden bin. Wir hatten –12 Grad und sind über die Anden, glaube ich, rübergefahren. Das war aber nicht so, dass man mal eben schnell über einen Pass drüberfährt. Wir sind drei Stunden lang bei –5 Grad gefahren, das kälteste waren –12 Grad, und ich als alter Skifahrer habe mir gedacht, Skihandschuhe reichen schon. Dabei habe aber nicht bedacht, dass man sich bei so einer Verbindungsetappe nicht bewegt. Und nur fünf Stunden lang Lift zu fahren, wird auch kalt. Mir war noch nie im Leben so kalt, dazu habe ich mir dann noch eine Lebensmittelvergiftung geholt, musste alle hundert Kilometer stehenbleiben und spucken. Es war echt mühsam. Aber ich habe daraus gelernt, habe jetzt beheizte Handschuhe, sogar beheizte Unterwäsche, und auch Travel-Food. Das erleichtert das Ganze durchaus.

 

Wie hat es sich dieses Jahr (2017, die Red.) angefühlt, überhaupt mal im Ziel anzukommen und das dann gleich noch als Zweitplatzierter?

Das war schon extrem geil, vor allem bei der Zieleinfahrt, als ich dann wusste, dass es gereicht haben müsste. Man rollt da quasi noch so einen Kilometer aus und das war schon sehr emotional, speziell nach der Vorgeschichte. Ich hatte über ein halbes Jahr mit dem Oberschenkel und dem Knie nur Probleme, habe extrem viel Reha gemacht und dann sind noch ein paar Dinge nicht so verlaufen, wie ich mir das vorgestellt habe, weil die Callusbildung nicht so gut war. Das ist halt so, dafür kann auch niemand etwas. Aber es war bei einem Ehrgeiz wie meinem schon mühsam zu verstehen, dass man tun kann, was man möchte und es einfach nicht schneller geht. Ich habe mir erst das zweite Mal in meinem Leben etwas gebrochen, 2009 war das erste Mal. Und eigentlich ist es ja immer so, dass man, um besser zu werden, mehr tun muss, mehr Herzblut reinstecken muss – bei dieser Verletzung gerade nicht. Damit hatte ich wirklich zu kämpfen. Und dazu kommt, dass ich in zwei Dakars zwei Mal ausgeschieden war, weshalb eine Erwartungshaltung von außen durchaus da war. Und dass dann trotz der Vorgeschichte alles so gut ausgegangen ist, war schon extrem lässig.

 

Ist dir dein Bekanntheitsgrad, den du inzwischen hast, egal?

Nein, egal ist mir das nicht. Ich freue mich schon, wenn wie vorhin einer zufällig in der Nähe unterwegs ist und dann extra zur X-Bowl-Arena fährt, in der Hoffnung, dass er mich dort antrifft. Aber es gibt auch schon viele Neider. Unser Sport ist zum Glück noch ein ziemlich ehrlicher Sport. Wenn ich mir jetzt ein tolles Auto kaufen würde und niemand würde sich für mich mitfreuen, wäre das auch doof. Wenn man merkt, dass eine wirklich ehrliche Wertschätzung und Anerkennung für die Leistungen da ist, dann ist das schon lässig.

 

Neulich habe ich einen Post von dir gesehen, wo du dich gefreut hast, wie schön es doch ist, dass du als Österreicher auf einem österreichischen Motorrad, und dazu kommen ja noch mehr heimische Sponsoren wie unter anderem Red Bull und Kini, so erfolgreich bist. Austrian-Dream-Team würde ich sagen. Ist dir dieser Heimatbezug wichtig?

Nein, aber schau mal, speziell mit KTM und Red Bull, die beide in sechzig Kilometer Umkreis von meiner Heimat sitzen und wo ich viele Leute kenne bzw. Leute aus meinem Freundeskreis dort arbeiten, ist das schon sehr schön. Zumal beide Firmen extrem viel für Österreich machen, sich einerseits für den Motorsport einsetzen, andererseits Arbeitsplätze schaffen. Red Bull investiert sehr viel dafür, dass sie die Region ein bisschen pushen. Herr Mateschitz hat, als die Formel 1 am Red Bull Ring war, gesagt, dass alle Häuser dort und in der Nähe ihren Garten auf Kosten von Red Bull auf Vordermann bringen dürfen, damit die Welt sieht, wie schön die Steiermark oder Österreich sind. Ich glaube nicht, dass es viele solche Leute gibt. Und Stefan Pierer, der Chef von KTM, der ist mit ebenso viel Leib und Seele dabei. Und natürlich freut es die auch, wenn ihnen der Nachbar auf die Schulter klopft und sagt: „He, mit dem Walkner, das passt eh alles gut zusammen.“ Wenn Marc Coma auf KTM gewinnt, dann ist das schon cool und interessant, aber wenn ein Österreicher wieder vorne mitmischt, dann schalten auch viele Leute wieder bei der Dakar ein und verfolgen das, weil eben „einer von uns“ mitfährt.

Was machst du außer Motorradfahren sonst noch gerne? Hast du überhaupt Zeit für Hobbys?

Zeit bleibt da schon, die ich mit viel Sport verbringe, weil sich das auch gut verbinden lässt. Auf den Berg gehen, Rad fahren … Laufen kann ich leider im Moment nicht. Autos interessieren mich extrem, da gehe ich im Winter gerne mal auf die Eisbahn etwas driften. Ansonsten hänge ich auch gerne mit Familie und Freunden viel ab, weil ich eh relativ viel unterwegs bin. Wenn ich dann mit meinen Freunden am Abend etwas zusammensitzen kann, bedeutet mir das schon viel.

 

Wie sieht deine Zukunft aus?

Die nächsten drei, vier Jahre werde ich wohl Rallye fahren, also bis Ende 2020, und dann muss ich mal schauen. Ich würde schon gerne weiterhin etwas mit dem Motorsport machen. Ob ich dann noch weiter Rennen fahre, das hängt von so vielen Dingen ab: Bin ich noch gesund, macht es mir noch Spaß, kann ich überhaupt noch. Aber jetzt genieße ich erst mal die nächsten drei Jahre. Dann werde ich vielleicht ein Haus bauen, Kinder kriegen ... Aber das wichtigste ist, gesund zu bleiben. Das habe ich erst richtig gemerkt, als ich geballt Leute in einem Rollstuhl sah: Querschnittslähmung heißt nicht nur, nicht gehen können, das ist mir jetzt erst richtig bewusst geworden. Mit Krücken gehen zu müssen, heißt nicht nur, nicht richtig gehen zu können, sondern du kannst fast nicht mehr kochen, weil du beide Hände an den Krücken hast. Zähneputzen wird schwer, eine Treppe zu steigen ist eine Katastrophe, der ganze Alltag verändert sich. Und dann merkt man erst wirklich, was im Leben Priorität hat und was nicht. Und die Gesundheit steht dabei ganz oben.

 

Matthias Walkner digital:

Web: www.matthiaswalkner.com
Facebook: www.facebook.com/MatthiasWalknerMX
Instagram: @matthias_walkner

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