KEVIN GALLAS: HARTER WEG INS ZIEL
Knapp 600 Fahrer hatten sich zu dem 2-Tages-Event in Alès angemeldet – 8 kamen ins Ziel. Kevin Gallas (21) gehörte dazu. Doch der Weg dahin war einer der härtesten in der bisherigen Motorsport-Karriere des jungen Mannes aus Baden-Baden.
Am Samstagmorgen mussten sich die Fahrer aller Klassen im Mitas Xtrem Test für die weiteren Rennen qualifizieren. Nur die besten 100 Fahrer kamen in den Prolog. Die Fahrer hatten die Möglichkeit, einzeln in 2 Runden auf einem flüssigen und recht schnellen Track durch das Gelände rund um den Pole Méchanique in Alès eine möglichst schnelle Zeit zu fahren. Kevin Gallas konnte nach einem kleinen Sturz im ersten Lauf einen nahezu fehlerfreien zweiten Lauf hinlegen und qualifizierte sich mit der fünftschnellsten Zeit für den Minerva Prolog. Dieser wurde auf einem superenduro-ähnlichen Kurs mitten in der Stadt Alès am Flussufer ausgetragen. Die höhergelegene Promenade bot den zahlreichen Zuschauern einen tollen Überblick über die ganze Strecke. Aus jedem Gruppenrennen qualifizierten sich die schnellsten 8 Fahrer für das Halbfinale. Gallas kam in seinem Qualifikationsrennen gut vom Start weg und übernahm am ersten Hindernis schon die Führung. Sicher und kontrolliert fuhr er Runde um Runde, über Hindernisse aus liegenden und hochkant stehenden Reifen, über Baumstämme und Steinfelder. Mit großem Vorsprung kam er ins Ziel und war damit eine Runde weiter.
Im Halbfinale war er mit den Werkspiloten Graham Jarvis und Wade Young in einer Gruppe. Doch das hat den Nachwuchsfahrer nicht aus der Ruhe bringen können. Er wählte seinen Startplatz klug aus und konnte seine gedachte Linie zum ersten Hindernis vorne wegfahren und in Führung gehen. Schnell baute er seinen Vorsprung aus. An jedem Hindernis wählte er die schnelle Linie und fuhr auch mit 1:51:119 die schnellste Rennrunde. Mit 12,5 Sekunden Vorsprung auf sein Idol Graham Jarvis gewann Kevin Gallas auch das Prolog-Halbfinale.
Für die schnellsten Fahrer ging es dann noch ins Superfinal- Rennen. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, und die Fahrer waren mit Zusatzlampen ausgerüstet. Gallas startete wieder perfekt und konnte ungehindert am ersten Hindernis die Führung übernehmen. 3 Runden lang konnte er diese auch verteidigen, aber dann musste er zurückstecken. Im Verhältnis zu den Profis war die Lichtausbeute seiner Beleuchtung bescheiden. Weite Teile des Kurses lagen am unbeleuchteten Flussufer und Gallas fuhr teilweise ins dunkle Nichts. Hier zeigte er wieder einmal Nervenstärke. Er zügelte sein Temperament und fuhr auf Sicht und Sicherheit. Ein Sturz hätte nicht nur für das Hauptrennen am 2. Tag fatale Folgen haben können. Auch die SuperEnduro WM wäre vielleicht gefährdet gewesen, und damit seine WM-Führung in der Junior-Klasse. Außerdem war Startreihe 1 für den Sonntag schon sicher. So erreichte er unfallfrei, aber „nur“ als Fünfter Fahrer das Ziel.
Der Sonntag begann um 10.00 Uhr mit dem sogenannten „Le- Mans-Start“. Die Maschinen stehen aneinandergereiht, die Fahrer rennen von einer Startlinie aus nach dem Signal zu ihren Maschinen, steigen auf, starten den Motor und fahren los. Gallas startete relativ gut, konnte am kurz darauffolgenden Wasserloch einige Fahrer überholen und positionierte sich auf Platz 2 hinter Wade Young. Im Laufe der ersten Runde bildete sich eine Spitzengruppe mit den Werkspiloten Graham Jarvis, Mario Roman, Wade Young, Travis Teasdale - und Kevin Gallas. Am Ende der ersten Runde kamen die 5 innerhalb einer Minute zum Servicepunkt. Zu Beginn der Runde hatte sich Gallas sein Trinksystem beschädigt und musste ohne Wasservorrat in die 2. Runde gehen. Dazu kam, dass der Schwierigkeitsgrad um einiges höher als in Runde 1 lag. Trotz einiger Patzer konnte sich Gallas auf dem 5. Platz behaupten. Nach weiteren zwei Stunden kam er wieder zum Servicepoint. Hier konnte er endlich trinken und für die letzte Runde ein funktionierendes Trinksystem installieren.
Im Verhältnis zur dritten Runde waren die ersten beiden geradezu ein Spaziergang. Der Schwierigkeitsgrad war erheblich höher. Anstatt über flüssig zu fahrende Waldwege führte die Strecke nun durch kilometerlange Steinfelder, ausgefahrene Bachbetten und glitschige Wasserfälle steil aufwärts und auch wieder abwärts. Ein solcher Wasserfall wurde Gallas zum Verhängnis – durch einen Fahrfehler stürzte er mitsamt Motorrad ca. 7 Meter kopfüber in die Tiefe. Das Motorrad erlitt großen Schaden: nicht nur der Lenker war verbogen, sowie Kupplungs- und Bremshebel abgebrochen.
Den schlimmsten Schaden erlitt der Gasgriff – er war in mehrere Stücke zersplittert. Doch auch in solch dramatischen Situationen ist Aufgeben keine Option für Kevin Gallas. Mit zwei alten Klebebandstücken und einem Haargummi seiner Freundin behob er den Schaden notdürftig und blieb im Rennen. Seine Blessuren rundum registrierte er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, er wollte nur schnellstens weiter. Doch kurze Zeit später ein erneuter Rückschlag: Der Tank war leer. Mitten in der Pampa, kurz nach einem Checkpoint. Kevin Gallas: „Ich hatte nur eine Chance – ich musste schieben. Über alle Hindernisse und Steinfelder, den Berg hinauf. In voller Montur nach bereits 2 anstrengenden Runden war das die Hölle. Erst nach 30 Minuten habe ich den nächsten Checkpoint erreicht, wo ich etwas Treibstoff bekommen konnte. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, hatte im ganzen Körper Krämpfe und habe nur noch versucht, irgendwie ins Ziel zu kommen.“
Immer noch auf Platz 5 liegend erreichte Gallas das dritte Mal den Servicepunkt, jedoch dicht gefolgt vom Sechstplatzierten. Nur wenige Kilometer trennten ihn jetzt noch vom Ziel. Aber auch hier hatten die Veranstalter noch einige extreme Passagen eingebaut. Das Fahrtzeitende um 18:30 stand kurz bevor und es war stockfinster. Wer im Dunkeln schon einmal versucht hat, zu Fuß durch unbekanntes Terrain zu gehen, kann sich vielleicht vorstellen, wie es ist, dies mit einem Motorrad zu bewältigen. An einem sehr losen Steilhang stürzte Gallas erneut. Während er seine Husqvarna aus dem Gebüsch bergen musste, wurde er überholt. Er mobilisierte die letzten Reserven und konnte trotz aller Widrigkeiten die finalen Hindernisse überwinden. Um 18:23 erreichte er das Ziel auf Position 6 – völlig erschöpft, aber glücklich. Mit dieser großartigen Leistung, getragen von einem unbändigen Willen, hat Kevin Gallas sein bisher bestes Ergebnis bei einer solchen Extremenduro-Veranstaltung erreicht. Ein perfekter Auftakt in die Outdoor-Saison 2018, der große Respekt verdient.
Dank der großzügigen Unterstützung seines Hauptsponsors Grenzgaenger sowie des perfekten technischen Supports durch MH Motorräder und den unerlässlichen Erfahrungsaustausch mit Marko Prodan von Endurides arbeitet sich Kevin Gallas stetig näher an die Werksfahrer der Weltspitze heran.
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